Hochgeschwindigkeitslesen für Studierende
Die Umstellung der Studiengänge im Rahmen der Bologna-Reform, aber auch zunehmendes Leistungsdenken und Erfolgsstreben setzen Studierende unter Zeit- und Leistungsdruck. Seminarveranstaltungen und Ratgeber zu Selbst- und Zeitmanagement für Studierende boomen. Diese helfen, den Anforderungen des Studiums durch Verbesserung von Arbeitsverhalten und Selbstorganisation sowie durch das Eliminieren unproduktiver Zeitfresser besser gerecht zu werden.
Was aber, wenn es die Menge an anstehenden Aufgaben selbst ist, die Studierende trotz guter Arbeitsorganisation zunehmend unter Druck setzt und sich in einem nicht optimalen Notenspiegel niederschlägt? Dann kann die Lösung nur lauten, die eigene Methodenkompetenz zu trainieren und sich Techniken anzueignen, das anstehende Arbeitspensum effizienter zu erledigen. Speed Reading ist hier der Königsweg. Konsequent erlernt bietet Speed Reading mehrere Vorteile:
- Schnelleres Lesen und daraus resultierend Zeitersparnis
- Leichteres Erfassen und Verstehen anspruchsvoller, komplexer Inhalte
- Nachhaltigeres Behalten des Gelesenen und dadurch leichteres Lernen
Aufgrund der nötigen Kürze konzentriert dieser Beitrag sich auf zwei Schwerpunkte: Dies sind einerseits die Grundlagen des Hochgeschwindigkeitslesens, da bereits diese das Lesetempo stark beeinflussen und das Erlernen der weiterführenden Techniken unterstützen. Andererseits sind dies die Meta Techniques, da diese sich im studentischen Alltag besonders sinnvoll einsetzen lassen (vgl. Koch, 2015, S. 115).
Kürzer ausfallen bzw. entfallen müssen dadurch die Ausführungen zu Basic Techniques und Superior Techniques sowie zu klassischen Lesestrategien und Techniken des Gedächtnistrainings, die sich in idealer Weise mit dem Hochgeschwindigkeitslesen verbinden lassen.
Grundlagen – der erste Schritt zum Hochgeschwindigkeitsleser
Die Grundlagen stellen sozusagen das Fundament des Speed Readings dar – je stabiler dieses ist, je besser diese beherrscht werden, desto sicherer steht das darauf errichtete Gebäude, desto leichter und effizienter werden die weiteren Techniken erlernt.
- Verwenden einer Führungs- oder Zeigehilfe
- Vermeiden von Rücksprüngen und Regression
- Nutzen des peripheren Sehvermögens
Verwenden einer Führungs- oder Zeigehilfe
Während Schulanfänger mühsam das Lesen erlernen, setzen sie ganz gezielt eine Lesehilfe ein. Mit ihrem Zeigefinger fahren sie unterhalb der Textzeilen entlang, führen so ihren Blick und entziffern auf der Suche nach der jeweiligen Wortbedeutung Buchstabe um Buchstabe. Selbst Erwachsene verfahren noch ähnlich und setzen ihren Finger oder einen Stift als Zeigehilfe ein, wenn sie sich in einer ausgedruckten Excel-Tabelle oder dem Kleingedruckten eines Mobilfunkvertrags orientieren möchten.
Beim Lesen regulärer Texte jedoch verwendet kaum ein Erwachsener eine derartige Hilfe. Dies gewöhnen spätestens die weiterführenden Schulen ihren Schülern mit der Aufforderung, doch zu lesen wie ein Großer, ab. Ein Erwachsener, der beim Lesen in einem Buch oder einer Zeitschrift konstant eine Zeigehilfe verwendet, wirkt zunächst einmal befremdlich.
Und doch – die Verwendung einer Zeigehilfe, einer so genannten Führungshilfe ist der erste konkrete Schritt auf dem Weg zum Hochgeschwindigkeitsleser. Eine solche Hilfe gibt dem Blick des Schnelllesers Orientierung, indem sie ihn über den Text leitet (vgl. Koch, 2015, S. 30 f.). Diese Vorgehensweise bietet verschiedene Vorteile:
- Sie nutzt die Stärke des menschlichen Auges, ein sich bewegendes Objekt zu fixieren.
- Seit Urzeiten ist der Mensch darauf ausgerichtet, auf Bewegungsreize zu reagieren. So hält eine sich bewegende Zeigehilfe den Blick auf den Text fokussiert und wirkt abschweifenden Gedanken entgegen.
- Sie umgeht die Schwäche des menschlichen Auges, nicht wirklich gut in hohem Tempo über ein unbewegliches Objekt hinweggleiten zu können.
- Sie verdeutlicht dem Leser – vermutlich zum ersten Mal in dessen Leben – wie häufig dieser in einem Text zurückspringt – mehr dazu jedoch im nächsten Abschnitt.
Vermeiden von Rücksprüngen und Regression
Bereits bei den Ausführungen zur Zeigehilfe wurde angesprochen, dass diese auch dazu dient, dem Leser deutlich vor Augen zu führen, wie häufig er beim Lesen zurückspringt. Dies mag im ersten Moment überraschen, ist aber bei regulären Lesern tatsächlich ganz natürlich. Die gute Nachricht für alle Hochgeschwindigkeitsleser: Nach Koch (2015, S. 38) sind etwa 80 Prozent der Rücksprünge überflüssig. Mit anderen Worten: Vier von fünf Rücksprüngen kosten lediglich Zeit, tragen aber nichts zu einem besseren Textverständnis bei.
Wenn – vor allem bei anspruchsvollen Texten – ein Rücksprung tatsächlich einmal zwingend notwendig ist, führen Hochgeschwindigkeitsleser diesen systematisch durch.
- Zunächst lesen sie noch zwei oder drei Zeilen weiter im Text – unter Umständen wird die nicht gänzlich erfasste Information wiederholt und das Textverständnis stellt sich automatisch ein.
- Ist dies nicht der Fall, springen trainierte Schnellleser nicht genau an die Stelle zurück, an der sie die nicht verstandene oder aufgenommene Information vermuten. Vielmehr beginnen sie mit dem erneuten Lesen zwei oder drei Zeilen zuvor. Auf diese Weise stellen sie sicher, die im ersten Durchgang verpasste Information beim zweiten Mal mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erfassen.
Nutzen des peripheren Sehvermögens
Das periphere Sehvermögen ist eine Fertigkeit des Menschen, die dieser in der Regel nur unbewusst nutzt. So ist es beispielsweise im Straßenverkehr häufig der Fall, dass andere Verkehrsteilnehmer wahrgenommen werden ohne dass diese bewusst angesehen werden. Sie werden lediglich am Rande des eigenen Blickfeldes registriert; lediglich an der Peripherie des Blickfeldes wahrgenommen.
Genau diese Fähigkeit nutzen Hochgeschwindigkeitsleser auch. Mithilfe ihres peripheren Sehvermögens gelingt es ihnen, einerseits Einsparungen am Text vorzunehmen, diesen andererseits jedoch in vollem Umfang zu erfassen.
Untrainierten Lesern gelingt es in den meisten Fällen etwa drei oder vier Buchstaben links und rechts des Wortes zu erkennen, das sie eigentlich gerade fixieren. Dies entspricht in etwa einem Zentimeter. Dieser Umstand lässt sich nutzen, um am Anfang und am Ende einer jeden Textzeile je einen Zentimeter einzusparen.
Hochgeschwindigkeitsleser setzen ihre Führungshilfe nicht an den Beginn einer Zeile, sondern etwas eingerückt. Sie verlassen sich darauf, den Inhalt der ersten Buchstaben und Worte mithilfe ihres peripheren Sehvermögens wahrzunehmen. Mit zunehmender Übung sind Einsparungen von zwei oder sogar drei Zentimetern realistisch.
Basic Techniques – Überfliegen oder doch schon lesen?
Die beiden Basic Techniques Lesen im Rückwärtsgang und Doppelter Zeilenschwung weisen zwei zentrale Vorteile auf:
Einerseits tut sich der Hochgeschwindigkeitsleser, der diese sicher beherrscht, beim Erlernen der Superior Techniques und Meta Techniques deutlich leichter, und andererseits lassen sich diese beiden Techniken von Anfang an zum effizienten Überfliegen von Texten, mit etwas Übung zum konkreten Lesen nutzen
Lesen im Rückwärtsgang
Lesen im Rückwärtsgang bedeutet nichts anders, als dass im Wechsel stets eine Zeile von links nach rechts und eine Zeile von rechts nach links gelesen wird.
Der Nutzen dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand: Am Ende einer Zeile angelangt, bewegt der Leser seine Augen sowieso an den Anfang der nächsten Zeile. Bei dieser Bewegung nehmen Hochgeschwindigkeitsleser auch gleich den Inhalt der Zeile auf. Auf diese Weise lässt sich bei jeder zweiten Zeile etwa eine Sekunde einsparen.
Während sich das Lesen im Rückwärtsgang von Anfang an gut nutzen lässt, um Texte zu überfliegen, erfordert das wirkliche Lesen mit dieser Technik etwas Übung. Das Lesen im Rückwärtsgang funktioniert umso besser je mehr es gelingt, sich vom Lesen einzelner Wörter zu lösen und stattdessen ganze Wortgruppen wahrzunehmen.
Zu Übungszwecken empfiehlt es sich, diese Technik zunächst an den verkürzten Zeilen in Zeitungen und Zeitschriften zu trainieren, da es das menschliche Gehirn hier weniger Mühe kostet, die aufgenommenen Sinneinheiten richtig zusammenzusetzen (vgl. Koch, 2015, S. 76 ff.).
Doppelter Zeilenschwung
Die zweite Basic Technique, der Doppelte Zeilenschwung fällt vielen zu Beginn leichter als das Lesen im Rückwärtsgang. Dabei wird die Führungshilfe lediglich unterhalb jeder zweiten Zeile entlanggeführt, während der Blick des Lesers jedoch den Inhalt beider Zeilen erfasst.
Probleme bereitet in der Anfangszeit häufig noch das detaillierte Textverständnis, da hier tatsächlich große Sinneinheiten korrekt zusammenzusetzen sind. Auch hier empfiehlt sich zunächst das Üben an kurzen Zeilen und mit inhaltlich eher weniger anspruchsvollen Texten (vgl. Koch, 2015, S. 82 ff.).
Meta Techniques – Skimming und Scanning, aber mit System
Einsatzgebiet
Meta Techniques, das sind die Techniken des Hochgeschwindigkeitslesens, die zwar von Welt- und Europameistern bei Schnelllesewettbewerben eingesetzt werden, die aber außerhalb der Weltspitze nur die allerwenigsten zum richtigen Lesen einsetzen können.
Dennoch sollte sich jeder ambitionierte Studierende mit diesen speziell ausgewählten Techniken vertraut machen. Im Alltag eines Studierenden gibt es für jede der Techniken ein ganz gezieltes Einsatzgebiet:
- Bei der ersten Meta Technique handelt es sich um die beidseitige Lesehilfe, die sich bestens eignet, um Scanning-Vorgänge effizienter zu gestalten. Scanning bedeutet, einen Text beispielsweise nach Namen, Buchtiteln, Definitionen, Jahreszahlen oder der Antwort auf spezifische Fragen zu durchsuchen, ohne diesen tatsächlich zu lesen.
- Die Fragezeichentechnik leistet Studierenden gute Dienste beim Skimming. Skimming bedeutet nichts anderes, als einen Text oder eine Textstelle kurz zu überfliegen, um einen ersten Eindruck über dessen Hauptaussage, die wichtigsten Punkte oder Ideen des Autors zu gewinnen. Gerade im Rahmen von Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit hilft diese Technik, innerhalb kürzester Zeit zu entscheiden, welches Buch tatsächlich relevant ist und welches genauer zu studieren sich nicht lohnt. Mit dieser Technik verschafft sich der Leser in kürzester Zeit einen Überblick über eine wirklich große Menge an Texten.
- Die dritte Meta Technique, die Wellenbewegung eignet sich vor allem für das Überfliegen von Texten in Spaltenform, die typisch für Fachzeitschriften sind und sich auch immer häufiger in Fachbüchern finden (vgl. Koch, 2015, S. 115 ff.).
Neben diesen konkreten Vorteilen bieten all diese Techniken einen nicht zu unterschätzenden, zusätzlichen Nutzen: Bei der Anwendung der Meta Techniques werden automatisch wichtige Fähigkeiten trainiert, die auch bei anderen Speed Reading Techniken zu höheren Geschwindigkeiten verhelfen.
- Peripheres Sehvermögen
- Erfassen großer Wortgruppen
- Minimieren der Fixierungen pro Zeile
- Gleichzeitiges Verarbeiten einer hohen Anzahl an Informationen
- Hochhalten des Lesetempos
Beidseitige Lesehilfe
Die beidseitige Lesehilfe lässt sich nutzen, um einen Text auf der Suche nach einer
bestimmten Information gezielt zu scannen.
Egal dabei ist, ob der Text zuvor bereits gelesen wurde oder nicht. Diese Methode lässt sich immer dann einsetzen, wenn ein bestimmtes Zitat, eine einzelne Zahl oder eine sonstige Einzelinformation gesucht wird, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Text enthalten ist.
Zuvor jedoch sollte der Leser einige Sekunden investieren und sich die Form der gesuchten Information vor Augen führen.
Wenn es sich dabei um eine Jahreszahl handelt, lässt er beispielsweise eine Ziffernfolge wie 1973, 1841 etc. vor dem geistigen Auge auftauchen. Bei einem Zitat stellt er sich Anführungszeichen vor etc. Effektiv kann es auch sein, je nach Situation Anführungszeichen, Ziffern oder einen Namen auf einem Block zu notieren und kurz zu
betrachten. Diese Vorgehensweise schärft den Blick für das wirklich Wesentliche.
Anschließend führt der Suchende seine Zeigehilfe an einem Zeilenrand senkrecht nach unten, den Zeigefinger der anderen Hand am anderen Rand. Währenddessen pendelt sein Blick in sehr hohem Tempo zwischen Zeigehilfe und Finger hin und her.
Gelesen werden soll der Text ja sowieso nicht. Der Hochgeschwindigkeitsleser verlässt sich darauf, dass sein Blick automatisch hängen bleibt, wenn er auf die relevante Information trifft (vgl. Koch, 2015, S. 120 ff.).
Fragezeichentechnik
Die Fragezeichentechnik ist nach Koch (2015, S. 119) eine hoch effiziente Methode, um umfangreiche Dokumente zu überfliegen und sich ein Bild vom Inhalt zu machen.
- Er lässt seinen Blick auch bei dieser Technik von der Spitze eines Bleistifts oder Fingers führen.
- Diesen bewegt er in ruhigem Tempo und in Form eines Fragezeichens über die gesamte Seite eines Dokuments.
- Ziel dabei ist nicht, einzelne Wörter zu lesen, sondern Wortgruppen wahrzunehmen.
- Die Seite abschließend fixiert der Leser für einen Moment die Mitte des letzten Absatzes und hält kurz inne. Dies symbolisiert einerseits den Punkt am unteren Ende eines jeden Fragezeichens und gibt dem Gehirn des Lesers andererseits die Gelegenheit, die aufgenommenen Informationen zu verarbeiten und in das vorhandene Vorwissen einzuordnen.
Wellenbewegung
Im Speed Reading existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken, die das Lesetempo des Anwenders mehr oder weniger stark beeinflussen. Bei einer Auswahl, die sich speziell an Studierende richtet, darf vor allem die Wellenbewegung unter keinen Umständen fehlen.
Der Grund ist einfach: Sie ist prädestiniert, Texte mit verkürzten Zeilen zu lesen und derartige Texte begegnen Studierenden im Verlauf des Studiums sowohl in Fachbüchern als auch in wissenschaftlichen Aufsätzen sehr häufig.
Bei der Wellenbewegung wird die Zeigehilfe in der Mitte einer Textspalte angesetzt und mit leichten horizontalen Ausschlägen senkrecht nach unten bis ans Ende der Spalte geführt. Die Augen, die die Spitze der Zeigehilfe fixieren, nehmen dabei mithilfe des peripheren Sehvermögens und aufgrund der leichten Pendelbewegungen den gesamten Zeileninhalt wahr. Die horizontalen Ausschläge lassen sich sehr stark variieren, was die Wellenbewegung zu einer sehr flexiblen Technik macht. So fallen diese bei Textstellen sehr gering aus, die vom Leser als wenig relevant bewertet werden. Bei wichtigen, anspruchsvollen Stellen jedoch lassen sich die horizontalen Bewegungen so groß ausführen, dass ein Maximum des Inhalts aufgenommen wird (vgl. Koch, 2015, S. 125 ff.).