Hermann Simon ist ein „Wanderer zwischen den Welten“. Forschungsstarker Wissenschaftler, erfolgreicher Unternehmer, Entdecker der „Hidden Champions“. Nach Professuren in Bielefeld und Mainz, Gastaufenthalten in Harvard und Stanford, am MIT und ISEAD gründete er 1985 Simon-Kucher & Partners, heute der Weltmarktführer für Preisberatung.
9 Fragen im Interview mit Hermann Simon
Wie hat Corona in den letzten Monaten Ihr Leben verändert?
Die Veränderung war radikal. Während ich vorher mit Vorträgen ständig in der ganzen Welt herumreiste, arbeite ich seit März 2020 praktisch nur im Home Office. Allerdings fiel mir die Umstellung nicht allzu schwer. Einerseits habe ich viel geschrieben, andererseits lernte ich, die digitalen Medien zunehmend intensiv zu nutzen.
Dabei ziehe ich allerdings Interviews monologischen Referaten vor. Mittlerweile fehlen mir gleichwohl die Eindrücke, die ich früher von den Reisen mitbrachte. Home Office ist nicht kreativitätsfördernd.
Welche Auswirkungen auf das Leben junger Studierender wird Corona mittel- und langfristig haben?
Wenn ich an meine eigene Studienzeit zurückdenke, dann war soziale Interaktion mindestens genauso wichtig wie das eigentliche Studium. Abends ging ich in eine Kneipe, ich war politisch sehr aktiv, wir haben die Prüfungen in einer Vierergruppe vorbereitet, auch in der Uni war man ständig mit anderen in Kontakt.
Schließlich möchte ich die persönlichen Begegnungen mit den Professoren nicht missen. All das fehlt derzeit völlig. Ich bedaure die jungen Studierenden, die auf diese Erfahrungen verzichten müssen.
Was raten Sie einem Studierenden, wie er sich im Moment positionieren soll?
Wie bin ich selbst mit der Krise umgegangen? Ich habe die Zeit energisch zum Schreiben mehrerer Bücher genutzt. Zum Zweiten habe ich eine seit langem fällige Knieoperation durchgezogen. Was kann man daraus ableiten?
Wenn Studierende im Wesentlichen nur von zu Hause lernen können, dann sollten sie das intensiv und in der kürzest möglichen Zeit tun. Die gewonnene Zeit können sie später zum Nachholen von stärker sozialen Aktivitäten wie Praktika, Reisen oder einfach für einige Monate Pause nutzen.
Zudem erachte ich es für sehr wichtig, sich unter den gegebenen Umständen körperlich fit zu halten. Also regelmäßig raus und Sport machen! Vielleicht kann man zusammen mit einem Freund joggen.
In Ihrer Biografie gehen Sie recht ausführlich auf Ihre Zeit bei der Bundeswehr ein. Bereitet so eine Phase auf das Berufsleben vor? Und: Würden Sie jungen Menschen empfehlen, vor dem Studium Wehrdienst oder ein freiwilliges soziales Jahr zu leisten?
Für mich war die „Pause“ zwischen Abitur und Studienbeginn extrem wichtig. Nach dem Abitur war ich des Lernens überdrüssig. Zwei Jahre später hatte sich meine Lernbegierde erneuert, und ich stieg mit Begeisterung ins Studium ein.
Genauso wichtig ist, dass man bei der Bundeswehr oder im sozialen Dienst mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zusammenkommt. Die daraus gewonnene Lebenserfahrung kann ein Studium alleine nicht erbringen.
Ich denke, dass wir den Wert von Erfahrung gegenüber dem Wert gewonnener Zeit stärker gewichten sollten. Wenn man einmal 50 ist, spielt es keine Rolle mehr, ob man sein Examen mit 24 oder 26 absolviert hat. Aber ob man bestimmte Erfahrungen oder Erinnerungen gesammelt hat, macht einen großen Unterschied aus.
Sie haben immer mal wieder mit dem Einstieg in die Politik geliebäugelt. Warum kam es nicht dazu? Warum gibt es so wenige Unternehmer in den Parlamenten? Warum scheitern diese so oft in der Politik?
Die letzte Entscheidung, nicht in die Politik zu gehen, fiel während meiner Zeit an der Universität Mainz. Der damalige CDU-Kandidat bot mir in seinem Schattenkabinett einen Ministerposten an.
Etwa gleichzeitig hatte ich jedoch entschieden, meine Hochschullaufbahn zu beenden und in Vollzeit die Führung von Simon-Kucher & Partners zu übernehmen. Dieser Weg erschien mir letztlich attraktiver.
Wäre ich an der Hochschule geblieben, hätte mich mein Weg vermutlich in die Politik geführt. Politik und Unternehmensführung sind zwei sehr unterschiedliche Felder, die demgemäß andere Kompetenzen erfordern.
Unternehmer entscheiden und setzen um, dabei spielt Rationalität eine primäre Rolle. Politiker müssen ständig Kompromisse finden, divergierende Interessen unter einen Hut bringen und um Wähler werben. Emotionalität und Stimmungen sind entscheidend. All das ist Unternehmern fremd. Deshalb scheitern sie in der Politik.
Oder, andersherum gefragt: Viele Spitzenpolitiker, die in die Wirtschaft wechseln, scheitern oder reüssieren nur so lange, wie ihre Kontakte in Politik und Behörden noch funktionieren. Später werden sie dann aussortiert oder auf so genannte „Frühstücksdirektorenposten“ befördert. Womit erklären Sie sich das?
Welche Fähigkeiten zählen bei Politikern? Gut reden können, die Massen begeistern und Beziehungen pflegen! Im harten, marktlichen Wettbewerb haben diese Fähigkeiten keinen allzu großen Wert.
Bei Politikern kommt hinzu, dass ihre Magie vor allem an der Macht hängt. Sobald sie ihre Machtposition verlieren, erweisen sich auch die Beziehungen als kaum noch belastbar. Damit ist dann genau der Grund, warum sie angeheuert wurden, entfallen.
Politiker werden zudem hauptsächlich von Verbänden engagiert. Und die Verbände sind ohnehin oft näher an der Politik als an der Wirtschaft. Das gilt insbesondere für Verbände, die bei „Hofe“ in Berlin sitzen. Viele der Spitzenpersonen zeichnen sich für mich durch geringe Glaubwürdigkeit aus.
Häufigste Tätergruppe im Tatort sind Unternehmer oder Manager, noch weit vor „normalen“ Berufsverbrechern. Was sagt das über das Bild, das sich die Gesellschaft von Unternehmern und Managern macht?
Diese Diagnose trifft ohne Zweifel zu. Sie spiegelt das Bild des Unternehmers in der Gesellschaft wider. Dr. Rainer Zitelmann hat das Image von Wohlhabenden und Unternehmern untersucht. In einer Mischung aus Neid, Missgunst und Bewunderung traut man diesen Leuten alles zu.
Und zwar sind diese Einstellungen umso stärker ausgeprägt, je weniger der Einzelne Unternehmer persönlich kennt. Es ist also ein Fernbild. Dass sich die Filmemacher derart ideale Kandidaten für kriminelle und halbkriminelle Machenschaften nicht entgehen lassen, ist nahezu zwangsläufig.
Es wäre doch langweilig, wenn ein Berufsverbrecher ein weiteres Verbrechen begeht oder ein armer Schlucker im Film ein bisschen klaut. Viel interessanter ist es, wenn ein Unternehmer mit raffinierten Methoden in großem Stil Geld im Ausland verschwinden lässt. Ich wage insofern auch die Prognose, dass sich daran nichts ändern wird.
Ist die Betriebswirtschaftslehre vielleicht der „böse, alte, weiße Mann“ unter den Studiengängen?
Die jungen Leute stimmen mit den Füßen ab. Und diese Abstimmung ist klar: die Betriebswirtschaftslehre hat die höchste Studierendenzahl. Zudem finden nur wenige BWLer keine Stelle. Aus deren Sicht erscheint die Welt also in Ordnung.
Aber aus Sicht anderer Fachrichtungen, in denen die Welt nicht so gut aussieht, weckt das natürlich Neid und kritische Einstellungen. Da liegt es nicht fern, den BWL-Studierenden ein Streben nach dem schnöden Mammon zu unterstellen, während man selbst als Philosoph, Soziologe oder Naturwissenschaftler auf der Suche nach Wahrheit und bereit ist, sich in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.
Was spricht aus Ihrer Sicht für das Studium der Betriebswirtschaftslehre?
Es gibt zwei Kriterien, denen man bei der Studienwahl sehr großes Gewicht zumessen sollte: Erstens macht mir das Fach Spaß und zweitens kann ich damit meinen Lebensunterhalt verdienen? Insofern lässt sich die Frage nur für das Individuum beantworten.
Ich halte es für genauso falsch, BWL nur zu studieren, weil man damit Geld verdienen kann, ohne sich wirklich für dieses Fach zu begeistern, wie ich es für falsch halte, Ärchäologie zu wählen, weil einen dieses Fach begeistert, ohne sich Gedanken über die wirtschaftlichen Folgen zu machen. BWL hat den Vorteil, dass man sich nicht sehr früh festlegen muss.
Die Ausbildung ist vergleichsweise allgemein, so dass sich später vielfältige Einsatzmöglichkeiten ergeben. Im Übrigen erfüllt Consulting für viele Absolventen eine ähnliche Rolle. Statt nach dem Examen sofort in eine bestimmte Branche zu gehen, lernt man in der Beratung unterschiedliche Branchen kennen und kann sich dann später für eine entscheiden.