Das Job- und Karriereportal für WiWis

powered by

Suche
Close this search box.

Rhetorik im Studium 

Michael Rossié
Inhaltsverzeichnis

Die Vorstellung von Rhetorik ist heute ganz anders als noch vor 20 Jahren. In meiner Jugend haben wir die Vortragskunst noch im Gymnasialunterricht regelrecht gelernt. Heutige Schülerinnen und Schüler haben vielleicht schon eine ganze Karriere als Youtuber oder Influencer hinter sich, bevor sie auf eine weiterführende Schule gehen oder studieren. Wenn man die Situation vor Gruppe oder Kamera gewohnt ist, geht man einfach nach vorne und hält sein Referat oder seinen Vortrag. 

Inhalt geht vor Form

Regeln, Vorschriften oder Tipps, wie man das richtig macht, behindern eher. Inhalt geht vor Form. Ist das jetzt so wichtig, wie wir die Hände halten und ob wir gerade stehen? Nein, ist es nicht. Wenn der oder die da vorne in dieser Hinsicht etwas „falsch“ macht, fällt uns das ohnehin erst auf, wenn es langweilig ist oder Vortragende da vorne nichts zu sagen haben. Wenn jemand Blödsinn redet, merkt plötzlich jeder, dass er oder sie schmutzige Schuhe hat. 

Trotzdem kann man auch heute noch dicke Bücher über Rhetorik schreiben. Da gibt es ganz praktische Hilfen, wie man einen Vortrag leichter hinbekommt. Vorträge sind kein Selbstzweck, um sich in Szene zu setzen. Ich sollte nur dann nach vorne gehen, wenn ich auch etwas zu sagen habe. Im Studium sollte das für die anderen möglichst neu sein. Dass es unterhaltsam ist oder berührend, reicht in meinen Augen nicht.

Außerdem sollte sich der- oder diejenige da vorne des Privilegs bewusst sein, heute ein Referat halten zu dürfen. Da schenken ihm oder ihr viele Menschen ihre Zeit, und damit sollte man wertschätzend umgehen und sie nicht verschwenden. Also nicht alles mehrfach sagen, nicht für 20 Minuten Vortrag nochmal eine Zusammenfassung und keine ewig langen Einleitungen.  

Worauf man sonst noch achten könnte

Ein Überblick:
  • Überdenken Sie, ob Sie wirklich eine Agenda brauchen. In einer Vorlesung oder im Unterricht ist das selbstverständlich, aber wenn Sie Menschen überzeugen oder fesseln wollen, halte ich das für keine gute Idee. Sie nehmen ja jeden Drive aus dem, was Sie sagen wollen. Und wenn eine Agenda unbedingt sein muss, dann verschwenden Sie nicht Ihre kostbare Zeit damit, sie vorzulesen. Die können Sie auch austeilen, auf ein Flipchart oder auf eine Folie schreiben.  

 

  • Benutzen Sie nur Sätze, die uns noch nicht aus den Ohren heraushängen. „Ich freue mich, dass alle so zahlreich erschienen sind!“ ist abgenutzt, genauso wie alle Einleitungen, in denen man sich so furchtbar über alles freut. Eine Rede sollte nicht hauptsächlich von Ihnen handeln. Und bedanken, dass jeder den Weg hierher gefunden hat, geht heute auch nicht mehr. Auch wenn in angloamerikanischen Präsentationen dauernd gesagt wird „I would like to…“ oder „Let me…“, wäre ich in Deutschland damit vorsichtig. Wenn Sie etwas nur „würden“, tun Sie es nicht. Und müssen Sie sich wirklich so untertänig bedanken, dass man Sie jetzt reden lässt? 

 

  • Schlechte Redende fangen vorne an. Im Geburtsjahr, bei der ersten Erwähnung in der Menschheitsgeschichte, bei der Vorbereitung der Vorbereitung. Gute Redende fangen da an, wo es spannend wird. Kurz vor dem entscheidenden Versuch, beim ersten Konzert, beim erfolgreichen Durchbruch. Die Erzählung von unserem letzten Urlaub beginnen wir ja auch nicht am Flughafen. Wenn wir unser Gegenüber beeindrucken wollen, fangen wir mit der Elefantenherde oder dem Dauerregen oder dem gut gelaunten Surferboy an. 

 

  • In den meisten Reden empfiehlt es sich, mit einer negativen Situation anzufangen. Da ist etwas nicht so, wie es sein sollte. Das Publikum kennt das. Wenn das Publikum am Anfang nickt, weil alle genau wissen, wovon Sie sprechen, ist das erste Ziel erreicht. Jetzt folgt Ihre Vision der Zukunft. So könnte es sein, so wäre es schön. Dann kommt automatisch die Frage: Wie kommen wir denn da hin? Das kommt jetzt. Wenn es dazu noch eine Theorie gibt, dann folgt die am Ende. Ein wissenschaftlicher Aufsatz oder eine Doktorarbeit beginnt mit der Theorie, ein Vortrag fängt erst mal das Publikum und packt die Theorie an den Schluss, weil diese das Publikum nur dann interessiert, wenn sie kurz davor sind, die Produkte zu kaufen, die Ideen anzuwenden oder die Vorschläge in Erwägung zu ziehen. 

 

  • Ihre Folien sollten schön sein. Sie zeigen mir eine Folie und ich verstehe nicht das Geringste davon, was darauf zu sehen ist. Aber eines kann ich sicher sagen: Spricht mich die Folie an, ist sie übersichtlich, ist sie vollgequetscht mit sechs Farben und fünf Schrifttypen, als ob jemand die Folien limitiert hätte? Eine gute Folie macht Lust darauf, sie anzuschauen. Eine gute Folie ist einfach schön. 

 

  • Eine gute Folie hat andere Aufgaben als der Redende. Die Folie liefert alle Zahlen, Daten und Fakten, mögliche Fotos und Filme. Außerdem Zeichnungen, Grafiken, Zitate und Zeitstrahlen. Die Vortragenden sind für die Emotionen zuständig, die Beispiele und Geschichten. Sie organisieren die Interaktion mit dem Publikum, machen die Pointen und erklären, was wichtig ist und was nicht. Das bedeutet aber auch, dass auf eine gute Folie keine ganzen Sätze gehören. Außerdem sollten Folien nicht sprachliche Bilder erklären. Wenn jemand zu den „Stufen des Erfolges“ eine Treppe zeigt und zu den „gewichtigen Argumenten“ eine Waage oder eine Hantel, dann  hat er den Sinn von Folien nicht verstanden. 

 

  • Auch Bilder auf Folien nutzen sich ab. Bis auf Weiteres stehen auf dem Index vor allem Glühbirnen, Puzzlesteine und Zielscheiben mit einer Menge Pfeile in der Mitte. Auch Männchen, die sich am Kopf kratzen oder unter Fragezeichen platziert sind, sind heute ein Lacher. Dass Sie eine Idee hatten oder davor lange nachgedacht haben, erzählen Sie einfach. Nicht jedes Bild sagt mehr als tausend Worte. Das gilt auch für Pfeile. Dass alles mit allem in Verbindung steht, ist ein Satz, der leichter zu verstehen ist als eine Grafik, bei der ich vor lauter Pfeile die Botschaft nicht mehr sehe. 

 

  • Die Körpersprache spielt eine untergeordnete Rolle. Es ist schöner, wenn Sie gerade stehen, aber wenn Sie das nur während des Vortrages tun, ist das zu anstrengend. Stehen Sie so wie sonst auch. Wenn Sie wollen, treiben Sie vorher Sport oder arbeiten an Ihrer Haltung, aber wenn es auf die Bühne geht, ist es dafür zu spät. Sie sollten nicht üben, während Ihnen eine große Gruppe Menschen zuhört. Das ist unhöflich. 

 

  • Auch was Ihre Hände machen, ist völlig egal. Wenn Sie Zeit haben, während des Vortrages an Ihre Hände zu denken, dann sind Sie deutlich unterfordert. Gute Redende kommen von der Bühne und haben nicht die geringste Ahnung, was ihre Hände die letzte Stunde gemacht haben. Auch herumlaufen ist erlaubt, solange Ihre Gänge ein Ziel haben. Wenn Sie nur von der einen Seite der Bühne immer wieder zur anderen Seite laufen, weil Ihnen jemand erklärt hat, Sie müssten „die Bühne nutzen“, ist das Albern.  

 

  • Sie müssen sich auch nicht fein machen oder chic kleiden, wenn Sie präsentieren. Es gibt sehr berühmte Menschen, die ihre TED-Talks in Turnkleidung absolvieren. Aber die Farbe Ihrer Kleidung sollte mit dem Hintergrund kontrastieren. Blau vor blau oder rot vor rot sieht nicht gut aus. Und die Kleidung sollte passen. Sie stehen da vorne unter gnadenloser Beobachtung. Wenn sich alle in Gedanken mit Ihrem Jackett anstatt mit dem Vortrag über Finanztransaktionen beschäftigen, ist das Ziel schwerer zu erreichen. 

 

  • Sie können eine Rede ablesen, wenn Sie sich das freie Sprechen nicht zutrauen. Aber wenn Sie frei sprechen wollen, schreiben Sie sich keine Sätze auf, sondern Stichworte. Auch nicht Stichworte, die Sie an bestimmte Sätze erinnern, sondern Stichworte, die Sie an Themen erinnern, Schwerpunkte oder Geschichten. Feste Sätze sind etwas für Schauspieler. StudentInnen, die präsentieren, sollten genau das nicht sein. Deswegen bin ich auch gegen das Vorspielen kleiner Szenen, künstliche Dramatik und vorbereitete Bewegungen. Das sind in den allermeisten Fällen Momente zum Fremdschämen.  

 

  • Gesprochene Sätze haben einen Subtext oder Unterton. Und jeder Satz klingt anders. In einer guten Rede tanzen also die Sätze. Das können Sie an sich selbst überprüfen. Werden Ihre Sätze monoton wie Eisenbahnwaggons auf die Schienen geschoben, oder ist die Satzmelodie jedes einzelnen Satzes anders als die des Satzes davor? Wenn es zu eintönig wird, dann haben Sie mit großer Wahrscheinlichkeit zu oft denselben Text gesprochen (Redende sprechen am besten keinen Text wie Schauspieler oder Schauspielerinnen, sondern sprechen zur Übung mehrmals zum selben Thema und drücken sich dabei immer wieder anders aus). 

 

  • Überlegen Sie immer, ob es zum Thema persönliche Geschichten gibt. Warum haben Sie das Thema gewählt? War es schwer oder leicht, daran zu arbeiten? Auf welche Probleme sind Sie gestoßen? Woher kam der Anstoß zu deren Lösung? Welches emotionale Verhältnis haben Sie zu Ihrem Thema? Das ist der berühmte Blick hinter die Kulissen, und der ist für andere außerordentlich spannend. Außerdem ist das für Sie das Leichteste. Je mehr Geschichten Sie erzählen, desto weniger Vorbereitungszeit brauchen Sie. 

 

  • Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken über das Setting. Rednerpult ist ok, frei sprechen ist ok, Tischchen ist ok. Aber achten Sie darauf, dass die Bühne möglicherweise in der Waage ist. Nicht alles auf die eine Seite bauen. Es ist anstrengender eine Bühne anzusehen, die in Schieflage ist. Und der Redende gehört möglichst lange und oft in die Mitte. Nicht die Präsentation übergroß in der Mitte und Sie quetschen sich an den Rand. Wenn das nicht anders geht, gibt es viele Zwischenfolien in schwarz, bei denen Sie immer wieder in die Mitte der Bühne gehen. In einer guten Präsentation werden maximal 60 Prozent der Zeit mit Folien unterlegt.

 

  • Verlassen Sie sich nie auf das Publikum. Das macht immer was anderes als Sie glauben. Wenn Sie mit Fragen rechnen, bereiten Sie sich darauf vor, dass keine kommen. Wenn Sie mit Zustimmung rechnen, kalkulieren Sie Protest ein. Wenn Sie Lacher erwarten, machen Sie sich bitte jetzt schon Gedanken, was Sie tun werden, wenn alles totenstill bleibt. Ein guter Redner ist nicht abhängig von seinem Publikum. Und wenn die Menschen Sie nicht mögen? Dann ist nie das Publikum Schuld – sondern immer Sie! 
Der Artikel gefällt dir? Dann teile ihn doch gleich für deine Kontakte.
Facebook
Twitter
LinkedIn
XING
WhatsApp